28. August 1913.

Im Friedenspalast in Den Haag hält der Ständige Schiedshof Einzug, ein internationales Strafgericht, dass Ländern die Möglichkeit geben soll, ihre Konflikte friedlich zu lösen. Das Projekt passt gut in das Bestreben nach Frieden für die Niederlande: Das kleine Land hat aufgrund des Handels und seiner Kolonieen in Übersee ein großes Interesse an Frieden und wählt seit Jahrzehnten in Konflikten die neutrale Position. Die früheren Friedenskonferenzen in Den Haag (1899, 1907) machen die Stadt zu einem logischen Ort für das Gericht.

Aber die Spannungen in Europa verdichten sich. Besonders auf dem Balkan ist es schon lange unruhig. Das große Österreich-Ungarn und das Osmanische Reich müssen mit verschiedenen nationalistischen Bewegungen in ihrem Reich umgehen, die sich für Gebietserweiterung und eigene Staaten einsetzen. Manchmal werden die Bewegungen unterstützt von Russland, manchmal bekämpfen sie einander. So entstehen zwei Machtblöcke, die sich in einen Waffenwettlauf stürzen. Kein Jahr nach der Eröffnung des Friedenspalast entzündet sich der Funken in Europa.

Reportage über den Anfang und Verlauf des Ersten Weltkriegs. 1924. EYE Fim Instituut Nederland, Production Company: Universal (Vereinigte Staten)

Erzherzog Franz Ferdinand mit seiner Ehefrau Sophie, kurz bevor die beiden vom serbischen Nationalisten Gavrilo Princip erschossen werden. Sarajevo, 28. Juni 1914. Foto Hollandse Hoogte/Corbis

Internationaler Rahmen

Allianzen

Der Konflikt besteht aus zwei Lagern. Österreich-Ungarn wird von Deutschland und später auch von Bulgarien und dem Osmanischen Reich unterstützt und bilden gemeinsam das Lager der „Zentralen“. Gegenüber diesen Zentralen stehen die „Alliierten“ – unter anderem Frankreich, dem britischen Königreich, Russland, Belgien, Serbien und später auch Italien und den Vereinigten Staaten von Amerika. Viele Länder haben Gebiete in der ganzen Welt oder wenigstens einen großen Einfluss. Dadurch entstehen weltweit Konfliktherde mit verschiedenen Fronten. Es wird nicht nur in Europa an der Westfront und der Ostfront gekämpft, sondern auch in Afrika, dem Nahen Osten und Asien. In Europa kämpfen zusätzlich auch Soldaten aus den Kolonien mit. In 1918 sind 1.5 milliarden Menschen aus 33 Ländern mit einander im Krieg; das sind fast 80 Prozent der damaligen Weltbevölkerung.

Krieg

28. Juni 1914

Der Österreich-Ungarische Kronprinz Franz Ferdinand (1863-1914) besucht mit seiner Frau Sophie (1868-1914) Bosnien, das zu diesem Zeitpunkt ein Teil des Kaiserreiches ist. Dort ist es schon lange unruhig. Eine aufständische Minderheit von Serben setzt sich ein für ein unabhängiges Jugoslawien oder einen Anschluss an das Nachbarland Serbien. Einige Mitglieder einer serbischen nationalistischen Organisation beschließen, dass der Kronprinz Sarajevo nicht lebend verlassen wird. Ein Bombenanschlag auf das Auto des Ehepaars geht schief, aber eine Pistole trifft kurz darauf sehr wohl ihr Ziel. Franz und Sophie sterben an ihren Wunden.

Österreich-Ungarn verlangt Rache und erklärt Serbien am 28. Juli den Krieg. Es folgt eine Kettenreaktion. Allianzen, nationalistisch orientierte Spannungen und verschiedene Interessen sorgen dafür, dass sich viele europäische Länder mit naiven Erwartungen und voller Hingabe in den Kampf stürzen. Es gibt kein Halten mehr. Der große Krieg hat begonnen.

Eine Zeichnung, die sich über die niederländsche Neutralität lustig macht. Verschiedene schöne Damen (die kämpfenden Nationen) versuchen, einen niederländischen Soldaten zu verführen. Datum Unbekannt. Foto HH/Spaarnestad Photo

Neutralität

„Wir möchten nur, dass man uns in Ruhe lassen wird“ schreibt die niederländsche Zeitung NRC am 1. August 1914. Die Position der Niederlande ist klar; Das Land möchte neutral bleiben. Die größte Bedrohung kommt aus Deutschland, dass eventuell über die Provinz Limburg nach Belgien und Frankreich durchstoßen könnte. Sowohl die Deutschen als auch die Briten geben schon nach ein paar Kriegstagen an, die niederländische Neutralität zu respektieren, aber nur solang diese Neutralität ihren Gegnern keine Vorteile verschafft. Deshalb müssen die Niederländer während des Krieges immer wieder das Gleichgewicht zwischen den beiden Lagern suchen, um alle Parteien zufrieden zu halten. Das klappt manchmal nur gerade eben. Im März 1916 geht zum Beispiel das Gerücht einer britischen Invasion um, und 1918 verlangen die Deutschen freie Durchfahrt durch Limburg für ihre Transporte.

Internationaler Rahmen

Neutralität

Die Niederlande sind nicht das einzige Land dass während des Ersten Weltkrieges neutral bleibt. In Europa bleiben auch Dänemark, Norwegen, Schweden, Spanien und die Schweiz außen vor im Konflikt und die kämpfenden Länder profitieren hiervon. Über die Niederlande werden zum Beispiel Kriegsgefangene ausgetauscht. Aber auch Nahrung, Rohstoffe und finanzielle Dienste erhalten die Länder über die neutralen Nachbarn.

Mobilisierung

1. August 1914

Fragment aus dem Armee und Flottenfilm aus 1917 von Willy Mullens. Es handelt sich hierbij um einen Propagandafilm der niederländischen Armee. Nederlands Instituut voor Beeld en Geluid.

Internationaler Rahmen

Spionage

Während des Krieges befinden sich zahlreiche Spione in den Niederlanden, vor allem in der Hafenstadt Rotterdam. Britische und deutsche Geheimdienste rekrutieren auch viele Niederländer, die durch den neutralen Status immer noch frei reisen können. Ein Teil von ihnen wird im Ausland aufgedeckt als (Doppel-)Spion. Die berühmteste Spionin ist die friesische Margaretha Zelle (1879-1917), eine exotische Tänzerin die unter ihrem Künstlernamen Mata Hari bekannt ist. Angeblich hat sie für Deutschland und Frankreich spioniert und wird am 15. Oktober 1917 von den Franzosen exekutiert.

Um bei einem möglichen Angriff vorbereitet zu sein, mobilisiert die Niederlande am 1. August 1914 als eines der ersten Länder seine Truppen. Circa 200.000 Männer melden sich bei den Kasernen und werden ab dort zu den Grenzen des Landes und den wichtigen Verteidigungsstellugen wie der „Waterlinie“ und der „Stelling van Amsterdam“, der Verteidigungslinie um Amsterdam, gebracht. Die Botschaft: Die Niederlande nimmt ihre Neutralität ernst und ist bereit, diese im Ernstfall zu verteidigen.

Die Bodentruppen sind während der Kriegsjahre vor allem eingespannt mit der Bewachung der Grenzen, dem Auffang von Flüchtlingen und dem Kampf gegen Schmuggel und Spionage. Die Marine kümmert sich derzeit auf die Verteidigung von Niederländisch-Indien (die niederländischen Kolonien in Indonesien), patrouilliert an der Küste und entfernt Seeminen. Da aber echte Kriegshandlungen ausbleiben, wird der schlimmste Feind der Truppen schon bald die Langeweile. Diese wird bekämpft mit Sportwettkämfpen und Unterricht. Im Laufe des Krieges bekommen die Soldaten immer öfter Heimaturlaub um ihre Frauen und Familien zu besuchen und zurück zu ihren Betrieben und Äckern zu gehen.

Belgische Flüchtlinge in Bergen op Zoom werden begleitet von einer Krankenschwester des Rotes Kreuzes (oben, mit Muff). Foto Het Markiezenhof, Bergen op Zoom

Flüchtlige und Internierte

10. Oktober 1914

Anfang August des Jahres 1914 bricht der Krieg aus. Die Deutschen fallen in Luxenburg und Belgien ein. Die Stadt Leuven geht in Flammen auf und am 10. Oktober 1914 fällt auch Antwerpen in deutsche Hände. Eine Million Belgier fliehen in die Niederlande, dass zu diesem Zeitpunkt selber circa sechs Millionen Einwohner hat. Der Auffang der Flüchtlige verläuft jedoch gut. Lokale Vereine und Privatpersonen bieten spontan Hilfe und Unterkünfte an.

Als der Krieg jedoch fortschreitet, kehren viele Flüchtlinge wieder zurück nach Hause. Letztendlich verbringen ungefähr 80.000 Belgier, sowohl Bürger wie Soldaten, die vier Kriegsjahre in den Niederlanden. Viele der Flüchtlinge finden Unterschlupf in „vluchtoorden“, speziell gebauten Flüchtlingslagern mit einem Postamt, einem Krankenhaus, einer Kirche, einem Kinderhort, Geschäften und sogar einem Lesesaal. Die belgischen Soldaten werden entwaffnet und in Internierungslagern einquariert. Auch für britische und deutsche Soldaten gibt es solche Lagerunterkünfte.

Persönliche Geschichte

Grenzverkehr

Nicht aller Handel mit dem besetzen Belgien gilt als Schmuggel; pro Person darf man von einem Produkt zwei Kilo mitnehmen. Viele niederländische Familien sehen dies als eine gute Möglichkeit, das Einkommen aufzubessern. Im August 1915 beschreibt „De Telegraaf“ eine dieser Gruppen: „Wagen und Karren von allerlei Sorten und Größen, alles was Räder hat, knirschen und quietschen unter dem Gewicht einer drei Mal zu schweren Ladung; hunderte Radfahrer, alle mit Packeten auf dem Rücken oder an der Lenkstange befestigt und Fußgänger, Männer, Frauen und Kinder zu Tausenden; vor allem Kinder! Wolken von Kindern, alle mit dicken Bündeln auf dem Weg nach Belgien und einem Leeren wenn sie zurück kommen.“

Flüchtlingslager bei Gouda, 1916. EYE Film Instituut Nederland, Production Company: unbekannt.

Internationaler Rahmen

Grenzen

Im Frühjahr von 1915 beginnen die deutschen Besatzer in Belgien an der Belgisch-Niederländischen Grenze mit dem Bau von „de draad“; eine 300 Kilometer lange Stacheldrahtabsperrung die mit 2000 Volt geladen ist. Der „Dodendraad“ („Totendraht“) soll Schmuggel und Spionage verhindern und dafür sorgen dass die Männer aus dem besetzen Belgien sich nicht über die Niederlande und Großbrittannien der belgischen Armee anschließen. Diese kämpft inzwischen in den Schützengräben der französich-belgischen Grenzgebieten gegen die deutschen Truppen. Die Westfront verläuft ab Ende 1914 von der flämischen Küste bis in die Schweiz. Trotz grossen Offensiven und dem Einsatz von Giftgas ändert sich dieser Verlauf in den nächsten vier Jahren kaum.

Bürger werden von Grenzbeamten angehalten. 1917. Foto: Regionaal Archief Nijmegen

Kriegswirtschaft

Die ersten Kriegstage führe zu Panik in den Niederlanden. Die Börse von Amsterdam schließt direkt nach der Kriegserklärung von Österreich-Ungarn an Serbien. Viele Sparer heben vor lauter Panik ihr Geld ab und Cafés akzeptieren nur noch wertfestes Münzgeld anstatt Scheinen. Der Geldverkehr steckt fest. Um die Wirtschaft zu stabilisieren ergreift die niederlänsche Zentralbank Maßnahmen: die Ausfuhr von Gold wird verboten und es wird Notgeld als Ersatz für das gehortete Kleingeld eingeführt; die „Zilverbons“. Auch Privatpersonen ergreifen die Initiative. Königin Wilhelmina (1880-1962) liefert einen persönlichen Beitrag: Die Königin spendet Geld, Wolle und Kleidungsstücke an das „Nationaal Steunfonds“, den nationalen Notfonds, der hilfsbedürftige Familien unterstützt.

Ein Gruppenbild des Vorstands der Nederlandsche Overzee Trust Maatschappij in Amsterdam in den Jahren 1914-1919. Gemälde von Antoon van Welie. Bild: Rijksmuseum Amsterdam

Die Ruhe soll vor allem bewahrt werden mit der Gründung der privaten „Nederlandsche Overzeese Trustmaatschappij“ („Niederländische Übersee Trustgesellschaft“) am 24. November 1914. Die Gesellschaft wird von wichtigen Unternehmern, Bankern und Redereien gegründet und trifft Verabredungen mit den Briten. Die Briten versuchen, die Deutschen durch eine Handelsblockade zu schwächen. Die Gesellschaft garantiert, dass niederländische Importeure ihre Schiffe kontrollieren lassen und verspricht, dass die Ladungen nur für die Niederlande bestimmt sind. Das System funktioniert mehr oder weniger in den ersten beiden Kriegsjahren. Die meisten Niederländer merken nur, dass die Lebensmittel teurer werden. Manchmal muss das geliebte Weissbrot durch Vollkornbrot ersetzt werden.

Presse und Propanda

In den niederländischen Wohnzimmern folgt man den Kriegsnachrichten auf dem Fuß. Zeitungen schreiben ihre Seiten voll mit den Entwicklungen und Folgen des Großen Krieges. Die niederländische Regierung mahnt jedoch zur Zurückhaltung in der Berichterstattung. Zu viel positive oder negative Aufmerksamkeit für eine der beiden Parteien könnte gefährlich sein für die instabile Neutralität des Landes. Nicht jeder hält sich an den Aufruf zur Vorsicht. Hinzu kommt, dass die Zeitungen oder deren Journalisten parteiisch sind oder sich sogar bestechen lassen.

Kriegshandlungen und – verbrechen beeinflussen auch die Wahl der Seiten. Louis Raemaekers (1869-1956), politischer Illustrator der anti-deutschen Zeitung De Telegraaf ist in seinen Zeichnungen sehr klar über seine politischen Ansichten. Regelmäßig zielen Raemaekers Pfeile auf den deutschen Kaiser und die Zeitung beschreibt die Zentralen als „eine Truppe gewissenlose Schurken die den Krieg verursacht haben“. Im Dezember 1915 folgt darauf die Verhaftung des Chefredakteurs, der nach siebzehn Tagen wieder freigelassen wird.

Fotografie und Film sagen manchmal mehr als Worte. In illustrierten Zeitschriften wie De Prins, De Katholieke Illustratie, Panorama und Het Leven is viel Platz für Bildreportagen. In den Kinos sehen die Niederländer Kriegsbilder in Filmen aus England, Frankreich und Deutschland. Diese Berichterstattung ist meistens nicht neutral. Die niederländische Presse bemüht sich jedoch meistens um eine neutrale Sichtweise.




Internationaler Rahmen

Louis Raemaekers (1869-1956)

Nach seinem Tod schreibt die New York Times, dass der Zeichner Raemaekers die einzige Privatperson war, die wirklich grossen Einfluss auf den Ersten Weltkrieg hatte. Die ersten Kriegsmonate berühren ihn sehr. Nach den Vernichtungen in Belgien verfertigt er starke anti-deutsche Bilder. Sie finden vor allem in Frankreich und England ein großes Publikum. Ein Herausgeber in London bündelt seine Arbeiten, die daraufhin in achtzehn Sprachen erscheinen. Viele Soldaten der Alliierten erhalten seine Zeichnungen an der Front, als Büchlein oder auf Zigarettenpäckchen. Die Deutschen sind weniger begeistert von Raemaekers Zeichnungen. Sie stellen der niederländischen Regierung kritische Fragen und in 1915 geht das Gerücht um, dass ein hohes Kopfgeld für den Zeichner ausgestellt wurde.

Karikatur aus der Zeitung Nieuwe Amsterdammer „Chefredakteur des Telegraaf in Haft“. Bild: Beeldbank WO2/NIOD

Die niederländischen Kolonien

Das Niederländische Imperium umfasst auch Suriname, die niederländischen Antillen und Niederländisch-Indien, das heutige Indonesien. Der Krieg verdeutlicht, dass die Niederlande für den Kontakt mit ihren Kolonieen stark von anderen Ländern abhängig sind. Die Briten kontrollieren zum Beispiel den Post- und Telegrafenverkehr mit Indien und wie in Europa beschränken sie Im- und Export. Auch Personenverkehr wird immer schwieriger, vor allem wegen den gefährlichen deutschen U-Booten. Indien verschifft seinen Zucker, Reis, Öle, Baumwolle, Tabak, Tee und Pfeffer also nicht länger nach Europa, sondern versucht stattdessen die Waren in der Region zu verkaufen. Das führt schon bald zu Mängeln in den Niederlanden und der fehlende Schiffsverkehr verursacht in den Kolonien ein Defizit von Maschinen und medizinischer Appartur. Ab 1916 nehmen die Engpässe drastisch zu und im letzten Kriegsjahr kommt der Export praktisch völlig zum Erliegen. Es drohen Hungersnot und Unruhen.

Dass die Armee in den Kolonien nicht stark genug ist um einen eventuellen Angriff ab zu wehren, bereitet den Armeeführern Kopfschmerzen: Sollten sie große Gruppen von Javanern trainieren und bewaffnen? Diese könnten sich immerhin auch gegen die Kolonisatoren wenden. Die Angst wird verstärkt durch die Entstehung der ersten nationalistischen Organisationen. In der Niederländischen Karibik ist dieses Problem viel kleiner. Dort hat der Wegfall des Handels und der Kommunikation einen Impuls für kleine Landwirtschaftbetriebe zur Folge.

Männer, teilweise Soldaten des KNIL, möglicherweise ein Lager in Niederländisch-Indien. Circa 1915. Foto: KITLV

Internationaler Rahmen

Kolonien und Krieg

Schon bald nach dem Ausbruch des Krieges wird in Afrika zwischen den deutschen und britischen kolonialen Armeen gekämpft. Ab 1916 wird der Nahe Osten ein wichtiger Kriegsschauplatz. Dem britischen Offizier T.E. Lawrence (1888-1935), bekannt als Lawrence of Arabia, gelingt es, die Araber gegen das Osmanische Reich aufzubringen. Die Briten spielen ein doppeltes Spiel; sie versprechen Unabhängigkeit aber verhandeln in selben Jahr eine Teilung der Region mit den Franzosen. Dieser zweite Plan wird nach dem Krieg verwirklicht. Wie die deutschen Kolonien werden die Gebiete im Nahen Osten Mandatsgebiete; de facto unterstehen sie der Führung der europäischen Gewinner des Krieges. Frankreich bekommt die Machtsbefugnis im heutigen Syrien und dem Libanon, die Briten im heutigen Irak und Jordanien. Auch in Palästina versprechen die Briten sowohl den Arabern als auch den Juden einen Nationalstaat.

Internationaler Rahmen

Allgemeines Wahlrecht

Der Erste Weltkrieg wird von Männern ausgetragen. Die leeren Stellen, die sie in Fabriken, auf Bauernhöfen und in Büros zurücklassen, werden oft von Frauen ausgefüllt. Sie sorgen dafür, dass die Wirtschaft weiter läuft während die Männer und Söhne manchmal für immer, weg sind. Aber auf dem Papier sind Frauen oft nicht mündig; in vielen Ländern ist das Wahlrecht Erwachsenen Männern mit einem bestimmten Minimum an Einkommen oder Ausbildung vorbehalten. Der Große Krieg ändert das. Unter anderem in Deutschland, Österreich, dem Vereinigten Königreich und den Vereinigten Staaten wird gegen Ende des Krieges das allgemeine Wahlrecht eingeführt.

Eintracht

Die politische Einheit die die Niederlande brauchen, um die Neutralität zu wahren, bringt einige Maßnahmen, die bis zum heutigen Tag sichtbar sind. Es werden zum Beispiel endlich Lösungen zu Fragen im Schulwesen und dem allgemeinen Wahlrecht gefunden (1917). Die Lebensmittelknappheit zeigt, wie wichtig eine organisierte Lebensmittelversorgung ist. Als Folge der großen Überströmungen in 1916 wird zwei Jahre später der „Zuiderzeewet“, also das Zuiderzeegesetz, angenommen. Große Teile des Ijsselmeers werden eingepoldert indem als Erstes ein großer Damm gebaut wird; der inzwischen weltberühmte Afsluitdijk (1932). Es sollen zehntausende Hektar Landbauboden entstehen.

Der Bau des Afsluitdijk. Circa 1927. Foto Nieuwland Erfgoed

Knappheit

In 1917 kommt der Krieg auch für die Niederlande immer näher. Deutsche U-Boote und britische Minen behindern immer öfter die Schifffahrt und die Fischerei. Ohne den Import von Übersee fehlen der Niederlande wichtige Roh- und Hilfsstoffe, wodurch die inländische Produktion rückläufig wird. Es entstehen große Knappheiten und die Preise steigen. Getreide wird knapp, Kartoffeln sind doppelt so teuer wie im Vorjahr, Fleisch wird selten und viele Produkte sind rationiert und nur mit Gutscheinen erhältlich. In den letzten Kriegsmonaten betrifft es mehr als fünfzig Produkte, wie zum Beispiel Bezin, Zwiebeln, Holz, Metall, Seife und Textil.





Internationaler Rahmen

U-Bootkrieg und Blockade

Am Februar 1917 beschießen die deutschen U-Booten alle Schiffe die in den Gewässern rundum Gross-Brittannien und Frankreich fahren. Sie versuchen damit, die Briten, die für den Nachschub von Benzin und Kriegsmaterial vom Seeweg abhängig sind, zur Aufgabe zu zwingen. Hierdurch funktioniert das Kontrollsystem in den britischen Häfen dass 1914 von der Nederlandsche Overzeese Trustmaatschappij errichtet wurde, nicht mehr. Auch Fischer werden immer öfter das Ziel der deutschen Angriffe und es ist nicht länger möglich, über das Mittelmeer nach Niederländisch-Indien zu fahren. Für die Amerikaner bringt dieser „Unbeschränkte U-Bootkrieg“ das Fass zum Überlaufen. Die Vereinigten Staaten von Amerika erklären Deutschland im April 1917 den Krieg. Auch die Niederländer merken die Folgen hiervon: die Amerikaner beschließen, den Export von Viehfutter, Getreide und Kunstdünger still zu legen. Zusätzlich annektieren sie eine große Anzahl niederländischer Schiffe, mit denen sie im März 1918 ihre Soldaten an die Front bringen können.

Ein deutsches U-Boot in 1918. Foto HH/Süddeutsche Zeitung Photo.

Die Niederländer gehen kreativ um mit der Knappheit. In Garküchen erhält man für niedrige Preise eine warme Mahlzeit. Schulferien werden verlängert, Haushalte haben drei bis fünf Stunden am Tag kein Gas, Gemüse kommt aus Schrebergärten und anstatt Kohle nimmt man jetzt Stroh und alte Zeitungen zum Heizen. Die Regierung versucht, mit neuen Produkten wie „eenheidsworst“ („Einheitswurst“) und „volksbiscuit“ („Volkskeks“) die Grundnahrung zu garantieren. Die Niederländer machen das Beste daraus und hoffen auf bessere Zeiten.

Nicht jeder hält sich an das Gesetz. Viele Bauern produzieren für den spontan entstandenen Schwarzmarkt oder für Deutschland , das viel besser zahlt. Auch die Regierung muss die knappen Kartoffelbestände ins Ausland liefern im Tausch für Benzin. Das verursacht böses Blut bei der Bevölkerung, die protestiert und Lebensmitteldepots plündert. Im Sommer des Jahren 1917 kommt es sogar zu Toten als hungrige amsterdamer Hausfrauen einen Kartoffeltransport überfallen.

Gewinn

Langfristig stellt sich die Neutralität als positiv für die niederländische Wirtschaft heraus. Ohne die ausländische Konkurrenz haben die Industrie und der Handel freie Hand auf dem nationalen und internationalen Markt. Firmen sehen sich gezwungen, neue und im Nachhinein gewinnbringende Initiativen zu ergreifen. So entschließt Philips sich, das Glas für seine Glühbirnen in eigener Produktion zu blasen. Die niederländische Bergbauindustrie wächst stark, da deutsche Kohle nur schwierig oder gar nicht importiert wird. Es entsteht auch eine eigenen Waffenindustrie und die Luftfahrt bekommt wichtige Wachstumsimpulse. Am Ende des Krieges stellt sich heraus, dass die Kriegsprofiteure sehr reich geworden sind, vorallem im Vergleich mit der von Knappheit und Hunger gebeutelten Bevölkerung. Die Niederlande haben nach dem Krieg drei mal mehr Millionäre als vor dem Krieg.

Die Philipsfabrik in Eindhoven. Einhoven, 1915. Foto Regionaal Historisch Centrum Einhoven

Internationaler Rahmen

Luftfahrt

Zum ersten Mal spielt die Luftfahrt eine große Rolle in der Kriegsführung. Zeppeline, Flugzeuge, teilweise geliefert vom Niederländer Anthony Fokker (1890-1939), werden für Luftgefechte und Bombardierungen genutzt. Der niederländische Luftraum wird regelmaßig von Briten und Deutschen genutzt. Durch das Fehlen von Flugabwehrgeschützen können die Niederländer hier auch nicht viel gegen tun. Es finden auch ein paar versehentliche Bombardierungen statt. Der Erste Weltkrieg sorgt neben dem Durchbruch für die Luftfahrt auch wichtige Erneuerungen wie den Panzer, das Maschinengewehr und das Giftgas.

Internationaler Rahmen

Revolution

Im Oktober 1917 findet in Russland eine Revolution statt; die Kommunisten vertreiben den Zaren. Die neue Regierung zieht sich schon einige Monate später zurück aus dem Ersten Weltkrieg. Im Herbst von 1918 folgt auch in Deutschland eine Revolution. Der Kaiser wird abgesetzt. Er flieht in die Niederlande, wo er den Rest seines Lebens in Haus Doorn verbringen wird. Das Ende des Ersten Weltkriegs bedeutet auch das Ende der österreichischen Kaiserkrone und dem Sultanat im Osmanischen Reich. Während des Waffenstilstandes scheint auch eine Revolution in den Niederlanden greifbar; Soldaten murren und es gibt viel Hunger. Der sozialistische Parlamentarier P.J. Troelstra (1860-1930) ruft die Revolution aus, muss aber schon bald zugeben dass er sich vertan hat.

Ein englischer Friedhof an der Front. 1917. Foto HH/Roger Viollet

Frieden

11. November 1918

Im Spätsommer von 1918 wird klar, dass die Alliierten den Krieg gewinnen werden. Deutschland ist kriegsmüde und muss Aufstände und Revolution im eigenen Land bewältigen. Am 11. November 1918 beginnt der Waffenstillstand. Die Friedensbesprechungen beginnen sofort. Der Kampf ist zwar vorbei, aber die Folgen sind noch lange spürbar. Der Krieg hat eine ganze Generation von jungen Männern verschwinden lassen, neun Millionen Soldaten sind umgekommen und viele Überlebende haben bleibende physischen oder emotionellen Schäden.

Der französische Präsident Georges Clemenceau hält eine Rede während der Unterzeichnung des Vertrag von Versailles in 1919. Der amerikanische Präsident Woodrow Wilson sitzt zu seiner Rechten.Versailles, 1919. Foto HH/Corbis

Nach dem Krieg

28. Juni 1919

Der Friede von Versailles am 28. Juni 1919, genau fünf Jahre nach dem Mord an Franz Ferdinand, zieht die Grenzen neu. Die Gewinner verlangen Gebietsausbreitung und koloniale Besitztümer. Die Verlierer, besonders die Deutschen, müssen hohe Repartionszahlungen leisten. Ein internationales Beratungsgremium, der Völkerbund, soll sich ab jetzt mit friedlichen Konfliktlösungen beschäftigen. Er kann jedoch nicht verhindern, dass zwanzig Jahre später ein neuer, vernichtender Weltkrieg ausbricht. Dieses Mal gelingt es den Niederländern nicht, neutral zu bleiben.

Gedenken und Erinnerung

Der Menenpoort in Ieper, wo jeden Abend der Last Post gespielt wird.

Man erinnert sich beim Ersten Weltkrieg vor allem an die furchtbaren Blutbädern in den Schützengräben der Westfront. Dieser Aspekt bekommt in Filmen, Geschichten und Gedichten viel Aufmerksamkeit. Die Akteure werden den Krieg aber nicht immer als sinnlos empfunden haben. Sie hielten die Stellung, verteidigten ihr Vaterland oder versuchten einen Durchbruch zu erreichen. Dazu kommt, dass der Erste Weltkrieg weit mehr war als eine die furchtbaren Schützengräben. Der Konflikt sorgte in vielen Aspekten für neue Verhältnisse, Technologie und Entwicklungen- auch in den neutralen Niederlanden.

Wegen der Neutralität sind die niederländischen Opfer eher Seemänner und Fischer statt Kriegshelden. Der Erste Weltkrieg hat in der niederländischen kollektiven Erinnerung eine viel kleinere Rolle als in anderen Ländern. Dort finden sich in fast allen Dörfern und Städten Denkmäler. Manche Länder ehren ihre Helden mit einem „Grab des unbekannten Soldaten“. Das Gedenken der Opfer währt bis zum heutigen Tag. In Ieper, Belgien, wird zur Ehre der Gefallenen noch jeden Tag der last post gespielt. In vielen englischsprachigen Ländern steckt man sich jährlich im November einen poppy (Klatschmohn) aus Papier an. Auch die Verlierer ehren ihre Opfer.

Da es hundert Jahre her ist dass der Kampf begann, wächst auch in den Niederlanden das Interesse am Großen Krieg. Niederländer besuchen Kampfschauplätze, Museen und Orte der Erinnerung wie Haus Doorn, wo der Deutsche Kaiser nach dem Krieg Zuflucht fand. Es entsteht auch immer mehr Interesse an den Fragen der Unterstützung, der Organisation und den Menschen die sich damit beschäftigten.

Haus Doorn heute und in 1919. Foto Huis Doorn